helnwein österreich

Berliner Zeitung – 22. Mai 2003

Wieder einmal vergreift sich der Künstler an einem amerikanischen Idol: Marilyn Manson als Mickymaus.

Das Böse unter der Sonne

von Carmen Böker, Feuilleton

Eigentlich aber geht es auf der "Grotesque"-CD um die Zeit der Weimarer Republik, nicht um die Zertrümmerung der letzten Jahrzehnte in Rock und Pop - obwohl "Doll-Dagga Buzz-Buzz Ziggety-Zag" sehr an den geschminkten Sound von The Sweet erinnert. Nach "Antichrist Superstar" und ähnlich umstrittenen Vorbildern ist damit ein neues so genanntes dunkles Kapitel der Zivilisation Thema für den Mann, der bürgerlich Brian Warner heißt. Sein Künstlername, zusammengesetzt aus dem Vornamen einer Schauspielerin und dem Nachnamen eines Massenmörders, verkörpert das von ihm zum Prinzip des Lebens erhobene Extrem von Gut und Böse. Und ein ähnliches, einander bedingendes Gegensatzpaar erkennt Manson auch im Berlin der 30er-Jahre: Unter der Oppression der neuen Machthaber habe die Kreativität gebrodelt - die ganze Stadt sei ein Kabarett, ein Vaudeville-Theater gewesen. Klar, anderswo gab s ja auch keine Arbeit, und so sehen Touristen aus Amerika heute eh gern auf Berlin.
Gottfried Helnwein: Wieder einmal vergreift sich der Künstler an einem amerikanischen Idol: Marilyn Manson als Mickymaus.

In der Mitte des Monats April war Marc Almond zu Gast in der Stadt. Bei einem Clubkonzert im Big Eden trug er eine Hand voll Songs vor, die sich mit dem vergeblichen Begehren und der Onanie als möglichem Ventil dafür ("Mother Fist And Her Five Daughters") befassten. Almond, der es als Hälfte des Duos Soft Cell unter anderem mit "Tainted Love" (1981) an die Spitzen der Hitparaden brachte, hatte damals international die ABM-Stelle als sexueller Provokateur inne - zu einer Zeit, da Lieder über Voyeurismus und Fesselspiele das Publikum entweder noch verstören konnten oder aber die durchschnittlichen Fans dieser Musik vielleicht lediglich zu jung waren, um ihr Erröten kontrollieren zu können.

Zur gleichen Zeit in diesem Jahr kam auch Marilyn Manson nach Berlin, um mit einem Showcase in der Volksbühne weltexklusiv sein Werk "The Golden Age Of Grotesque" vorzustellen. 2002 hatte er eine Coverversion von "Tainted Love" herausgebracht, die sich nun auf dem Album wiederfindet (erschienen bei Interscope/Universal). Für die in den 80er-Jahren popmusikalisch sozialisierte - also nicht sonderlich von Industrial und Metal faszinierte - Autorin war mit diesem Titel der Künstler plötzlich sehr viel interessanter geworden. Im Original ist das ja, aus der zeitlichen Distanz betrachtet, eine recht weinerliche, von einem einfallslos programmierten Synthesizer getragene Hymne über Gefühle, die nicht erwidert werden. Bei Manson hingegen soll, um ein altes Wort zu reaktivieren, das Private natürlich politisch sein: Die gequälte Kreatur kreischt los - anstatt zu singen, schreit sie die Zeilen in höchstem Zorn und hässlicher, jedoch in ihrer Hemmungslosigkeit auch sehr beeindruckenden Hingabe heraus. Das Scheißsystem (alias die christlichen Fundamentalisten oder die amerikanische Gesellschaft, um die zwei wichtigsten von Mansons Adressaten zu nennen) ist schuld daran, dass es mit dieser Liebe nicht geklappt hat. Und die Gitarren jaulen dazu auf wie die Kreissägen, wenn sie Metall schneiden.

Eigentlich aber geht es auf der "Grotesque"-CD um die Zeit der Weimarer Republik, nicht um die Zertrümmerung der letzten Jahrzehnte in Rock und Pop - obwohl "Doll-Dagga Buzz-Buzz Ziggety-Zag" sehr an den geschminkten Sound von The Sweet erinnert. Nach "Antichrist Superstar" und ähnlich umstrittenen Vorbildern ist damit ein neues so genanntes dunkles Kapitel der Zivilisation Thema für den Mann, der bürgerlich Brian Warner heißt. Sein Künstlername, zusammengesetzt aus dem Vornamen einer Schauspielerin und dem Nachnamen eines Massenmörders, verkörpert das von ihm zum Prinzip des Lebens erhobene Extrem von Gut und Böse. Und ein ähnliches, einander bedingendes Gegensatzpaar erkennt Manson auch im Berlin der 30er-Jahre: Unter der Oppression der neuen Machthaber habe die Kreativität gebrodelt - die ganze Stadt sei ein Kabarett, ein Vaudeville-Theater gewesen. Klar, anderswo gab s ja auch keine Arbeit, und so sehen Touristen aus Amerika heute eh gern auf Berlin.

Forsch schlägt sich Manson auf die Seite der "entarteten Künstler", die erst für die Münchner Ausstellung 1937 so genannt wurden - da waren viele von ihnen schon im Exil. Es ist eher sonderbar, sich freiwillig ein Etikett zu verleihen, das von den Nationalsozialisten vergeben wurde. Zumal damit kein einheitlicher Stil gemeint war, sondern eine generelle Diskriminierung vieler angeblich "kranker" Richtungen zwischen Expressionismus und Dadaismus bezweckt wurde.

Geradezu Schwitters-haft muten diverse Textstellen und Titel an, ob von "mOBSCENE" die Rede ist, vom versteckten Teufelchen in "Vodevil" oder von einem Refrain auf "Babble babble bitch bitch/ Rebel rebel party party". Mag sein, dass sich auch der expressionistische Pessimismus nach dem Ersten Weltkrieg niederschlägt in Zeilen wie "Stand up and admit,/ tomorrow s never coming. This is the new shit" - aber gegen Gottfried Benns Erinnerungen an diese Zeit ("Ein Aufstand mit Eruptionen, Ekstasen, Hass, neuer Menschheitssehnsucht, mit Zerschleuderung der Sprache zur Zerschleuderung der Welt .") sind Marilyn Mansons Nachempfindungen, seine Drohgebärden und Prahlereien doch ziemlich kalter Kaffee.

Glücklicherweise erliegt er nicht der Verlockung, sich musikalisch am Marschtempo zu versuchen, aber der sehr gleichförmige Viervierteltakt verführt den Hörer zu einem derart stumpfen Kopfgenicke, dass das auch schon wieder subversiv gemeint sein könnte. Nach Tabubruch aber sieht das "Grotesque"-Album nun wirklich nicht aus; selbst die Runenschrift schreckt nicht richtig, die Marilyn Manson für seine Initialen verwendet; selbst die flotten Truppenbetreuungsfotografien mit dem obligatorisch leichenblass geschminkten Gesicht und der milchig-trüben Kontaktlinse links nicht. Sollen wir mal böse zum Künstler sein? Marilyn Mansons neues Werk ist bloß eine Mutprobe - also etwas, was besonders in der Pubertät, also bei leicht zu beeindruckenden Nachwuchsprovokateuren, sehr beliebt ist. Wie laut kann man die Anlage aufdrehen, bis die Wände wackeln? Das ist immer die Ausgangsfrage. Die Erkenntnis, dass Soul und House bloß nach einer gut gelaunten Garagenparty klingen würden, führt Highschool-Absolventen stets schnell zu MM.

Die Gitarren jaulen wie Kreissägen, die Metall schneiden.