helnwein österreich

Frankfurter Allgemeine Zeitung – 12. Juni 2001

Strawinskys "The Rake's Progress", 2001

BEFREIUNG INS SCHWARZE NICHTS

von Julia Spinola

Aus dem Reich der Verstümmelten und der bandagierten Köpfe: Strawinskys "Rake's Progress" an der Hamburgischen Staatsoper.
Das Eindringen des Horrors in den Alltag hat wohl kaum jemand so beklemmend dargestellt wie der österreichische Künstler Gottfried Helnwein. Auf seinen Bildern nimmt die Gewalt derart Besitz von der Normalität, dass sie zum alles vergiftenden Elixier des Grauens wird. Viele seiner Gemälde, Plakate, Fotografien und Federzeichnungen zeigen Versehrung und Verstümmlung von Menschen, klinische Folterszenen, brutalisierten Kindern mit apathischen Blick, mit verbundenen Köpfen und Händen, oder mit ausradierten Gesichtern. Dennoch schockiert nicht die Inhalte allein: So umfassend scheint vielmehr Helnweins Perspektive auf das Leben vom Gefühl der Qual durchtränkt, dass selbst motivisch harmlosen Porträts, von John F. Kennedy oder Mick Jagger etwa, noch die Gewalt aus jeder fotorealistischen Pore dringt.

Das letzte Bild in William Hogarths Kupferstichserie "A Rake's Progress" war es, das Strawinsky 1947 im Chicago Arts Insitute besonders beeindruckte: Des Wüstlings grausiges Ende im Londoner Irrenhaus Bedlam, wo der halbnackt am Boden Sitzende gerade in Ketten gelegt wird, umringt von weiteren Insassen, beweint von einer Frau: Von dieser Schlussszene aus sei alles erfunden worden. Der bildenden Kunst haben die Torturen des Wahnsinns immer wieder als abgründiges, finsteres Motiv gedient: moderne Höllenqualen, denen Goya oder Otto Dix zunehmend realere Züge verliehen. Das schlechthin Böse, Graussame und Sadistische harrt nicht langer in einem Jenseits hinter dem Fegefeuer, sondern wird immer st
ärker als soziale Realität erkannt, es wütet mitten unter uns.

Das Eindringen des Horrors in den Alltag hat wohl kaum jemand so beklemmend dargestellt wie der österreichische Künstler Gottfried Helnwein. Auf seinen Bildern nimmt die Gewalt derart Besitz von der Normalität, dass sie zum alles vergiftenden Elixier des Grauens wird. Viele seiner Gemälde, Plakate, Fotografien und Federzeichnungen zeigen Versehrung und Verstümmlung von Menschen, klinische Folterszenen, brutalisierten Kindern mit apathischen Blick, mit verbundenen Köpfen und Händen, oder mit ausradierten Gesichtern. Dennoch schockiert nicht die Inhalte allein: So umfassend scheint vielmehr Helnweins Perspektive auf das Leben vom Gefühl der Qual durchtränkt, dass selbst motivisch harmlosen Porträts, von John F. Kennedy oder Mick Jagger etwa, noch die Gewalt aus jeder fotorealistischen Pore dringt.

Auch als Bühnenbildner und Ausstatter hat sich Helnwein von dunklen Sujets angezogen gefühlt. In Zusammenarbeit mit Hans Kresnik entstanden drastische Bilderfluten zu "Macbeth" (Heidelberg), "Marat/Sade" (Stuttgart), und "Pasolini" (Hamburger Schauspielhaus). Das sein Blick auf Strawinskys "Rake" nun ein sehr spezieller sein würde, war zu erwarten. Weniger freilich, dass ausgerechnet Helnweins wüste Fantasie den Wüstling in einen Zähmling verwandeln würde. Indes interpretiert auch Jürgen Flimms Inszenierung die Geschichte vom Irrenhaus-Finale her, und das dürfte Helnwein besonders gereizt haben.

Künstlich, eingehegt in einer sterilen Sonderwelt ist das Dasein des Tom Rakewell nämlich von Anfang an. Alles spielt sich in einem relativ engen, perspektivisch leicht verzerrten Innenraum ab, dessen schräge Wände zu Projektionsflächen eines imaginierten Lebens werden. Auslauf gibt es mittels einer Passerelle um den hochgefahrenen Orchestergraben herum. Natur flimmert vom Video, das in der Anfangszene, einen kitschigen Wölkchenhimmel zeigt, oder vegetiert im Blumentopf: Anne und Tom regieren als Gärtner ein in Reih und Glied stehendes Heer aus Topfpflanzen. Die Personen wirken wie einem Kinderbuch entsprungen, einer Märchenwelt, die zum Monströsen mutiert, sobald Nick Shadow auf den Plan getreten ist: Der Himmel verfärbt sich, es blitzt und regnet Blut von den Wänden. Drastisch brutalisiert erscheint dann die Szene in Mutter Gooses Freudenhaus. Aus Strawinskys Chor der "grölenden Burschen" ist ein Kommando von Glatzköpfen in roter Ledermontur geworden, das sich mit metallenen Baseballschlägern bewaffnet hat. Die Bordellmutter erscheint mit Gänsekopf als Zitat von Helnweins Disney-Duck-Bildern. Ahnte man immer schon, dass hinter der dort ausgepinselten lustigen Fassade der blanke Horror steckt, so tritt diese Figur den Beweis dafür an. Zusammen mit Nick Shadow, der sich vom glatten Entertainer zum züchtigenden Lehrmeister gewandelt hat, erteilt sie Rakewell, der die Schulbank drückt, ihre perversen Lektionen. Wenn er sein Lied singt, wirkt er apathisch und gehirngewaschen: All dies ist zuviel für einen labilen Schwärmer, wie ihn Bruce Fowler mit lyrisch-empfindsamen Tenorschmelz präsentiert. Seelisch beinahe ausgelöscht erschient Rakewell auch fortan als willfähriges Opfer aller weiteren Teufelsspiele.

So schlüssig diese Deutung in sich auch ist, fehlt es der Inszenierung doch an Stringenz und Dramatik. Die Dynamik des Absturzes wirkt nicht szenisch vollzogen, sondern illustriert. Ein Bildeinfall reiht sich an den nächsten, nicht alle sind sie gleich inspiriert: Schnellstrassen mit rasendem Verkehr und Hochhäusern etwa bilden einen doch leicht klischeehaften-belanglosen Grosstadtkontrast zu den Schwärmen von Zugvögeln, die wahrend des "farewell" der beiden Liebenden am Ende der ersten Szene über die Leinwände flattern. Anderes wiederum, wie die Friedhofszene und das Schlussbild, entfaltet eine sehr starke Suggestionskraft. Die Leinwände sind nun so öd und grau wie Rakewells Inneres. Der Raum bekommt dadurch schon während des Kartenspiels neben Rakewells Grab etwas höchst Beklemmendes, er erinnert an die Zelle. Zumal man einen solchen steinernen Schacht im bedrohlichen Halbdunkel aus einer Serie äußerst unangenehmer Federzeichnungen Helnweins schon kennt. Im Irrenhaus tragen dann alle jene blutigen Kopfverbände, die auf Helnweins Bildern notorisch wiederkehren. Wenn der Raum dann zeitlupenlangsam wie ein Kartenhaus in sich zusammenfällt und die Trümmer dieses Gefängnisses der Illusionen wie Teile eines Schiffes am Boden liegen, hat das fast etwas Befreiendes. Jenseits der Zelle freilich segelt man im schwarzen Nichts.

Die musikalische Aufführung sei einfach, die szenische Realisierung dagegen heikel, sagte Igor Strawinsky über seine Oper. Das war natürlich maßlos untertrieben, denn die virtuose Maskenhaftigkeit dieser mit der Operngeschichte jonglierenden Partitur fordert den Ausführenden eine stets treffsichere Prägnanz und solistische Präzision in allen Stimmen ab. Ingo Metzmacher gelang mit dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg eine in ihrer kammermusikalischen Transparenz, in ihrer gestischen Vielschichtigkeit und in ihrer dramatischen Zuspitzung bezwingende Interpretation: ein insgesamt lyrischer, auch sehr expressiver Strawinsky, der weder schneidende Kälte noch eindimensionales streamlining kennt. Sängerisch überzeugte neben Bruce Fowler als Rakewell vor allem David Pittsinger als rollenerfahrener Shadow. Gabriele Rossmanith hätte man in der Partie der Anne Trulove eine etwas weichere Tongebung gewünscht.

Bilder zu "The Rakes Progress" von Igor Strawinsky
Bühnenbild und Kostüme: Gottfried Helnwein
www.helnwein.org/werke/theater/group15/image.html

12.Jun.2001 Frankfurter Allgemeine Zeitung Julia Spinola

Hamburgische Staatsoper:
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