helnwein österreich

KURIER – 17. Februar 1988

"Lulu", Hamburger Schauspielhaus, 1988

IHRE MEINUNG

von Eva Deissen

Schwieriges Schweinisches
Wie ich unserer Kulturberichterstattung entnehme, streitet man in Hamburg über die Frage, ob Gottfried Helnweins "Lulu"-Plakat nun eigentlich frauenfeindlich oder männerfeindlich sei.

Falls Sie das Sujet auf unserer gestrigen Kulturseite nicht so genau studiert haben: Das "Lulu"-Plakat zeigt die legendäre Kindfrau von der Taille abwärts, ihre Beine stecken in weißen Strümpfen und artigen Lackschuhen. Der Rock ist hoch gehoben.

Gebannt vor dem in bester Helnwein-Manier fotorealistisch ins Bild gerückten Delta der Venus steht, auf Zwergengröße zusammengeschrumpft, ein Männchen. Es hat auch ein Mäntelchen an, das aussieht, als könnte es zur Grundausstattung eines Exhibitionisten gehören. Aber er/es hält es ängstlich geschlossen angesichts von soviel lässiger Schamlosigkeit.

Pornografie? Das wäre, bitte, ein zu billiges Urteil. Denn egal, ob man Helnwein für einen großen Künstler hält oder für einen hervorragenden Grafiker - seine Interpretation dieses Klassikers zum Thema Geschlechterkampf ist genial.

Interessant aber folgende Überlegung: Helnwein wurde von einer deutschen Zeitung gefragt, was wäre, wenn er eine kleine, knieende Frau vor einem überdimensionalen männlichen Unterleib gemalt hätte. "Das wäre eine Schweinerei", antwortete Helnwein.

Das würde wohl jede(r) so empfinden. Aber ich wage folgende Unterstellung: nicht aus Mitleid mit dem kleinen Frauchen, sondern, weil wir alle darauf trainiert sind, die Darstellung von nackter Männlichkeit als wesentlich skandalöser zu empfinden als die Konfrontation mit entblößten weiblichen Geschlechtsteilen.

Da Männer (außer in einem bestimmten Milieu) nicht darauf angewiesen sind, sich per entblößter Körperlichkeit anzupreisen, können sie sich im wahrsten Sinne des Wortes "bedeckt halten". Die Empörung im Falle des umgedrehten "Lulu"-Motivs würde daher keineswegs dem Umstand gelten, daß der Mann dominierend dargestellt wird, sondern ganz im Gegenteil der Tatsache, daß der Ärmste die Hosen runterlassen mußte.

17.Feb.1988 KURIER Eva Deissen