helnwein österreich

02.Jan.1989 Katalog, Folkwang Museum Essen – 2. Januar 1989

one man show, Folkwang Museum Essen, Germany, 1998

GOTTFRIED HELNWEIN ODER DIE WELT HINTER DEN DINGEN, EINE BETRACHTUNG

von Hubertus Froning, Curator for Drawings and Graphic Arts, Folkwang

Wenn wir von Helnwein sagen, er habe von aussen nach innen gemalt, dann heisst das,daß seine minutiöse und bohrend-insistierende Arbeitsweise, die die geschaute Wirklichkeit brutal interpretiert, eine hinter den Dingen im Verborgenen liegende Welt aufzudecken versucht.

one man show, Folkwang Museum Essen, Germany, 1998

Wer mit den Arbeiten von Gottfried Helnwein (geb.1948) konfrontiert wird, kann sich ihrer provozierend-schockierenden Faszination kaum entziehen, vielmehr wird er herausgefordert, sich intensiver mit dem Werk des Wieners auseinander zusetzen, für den die Verletzbarkeiten und Bedrohungen des Menschen zum Zentralthema wurden.

Aus seinem Krisenbewusstsein, aus seiner Skepsis, aus der Qual des Beunruhigseins, erwachsen Helnwein grauenerregende Bilder, sie geraten zum Peitschenhieb gegen einen aufgesetzten Positivismus, als dessen Treibfeder Profitdenken und Materialismus unserer hochgezüchteten Wirtschaftsgesellschaft verantwortlich zeichnen.

Aus einem intellektuellen Unbehagen gegenüber einem falsch verstandenen Fortschrittsglauben wählt der Künstler die Individualisierung, die sich dem weitgehend Unbekannten der Seele zuwendet. Helnweins Trauma einer kollektivistischen Gefährdung des Einzelmenschen lässt keine neutral wiedergebbahre Bilderwelt zu. Das gewohnte Erscheinungsbild des Menschen schlägt bei ihm um in ein Spiegelbild, das sich als Spaltbild, als eine Existenzstufe schmerzvoller Zerrissenheit des Kreatürlichen entlarvt. So erweist sich die geglaubte Wirklichkeit lediglich als Teilwahrheit. Diese Einsicht wird zur Voraussetzung für den Vorstoß in unbekannte geistig- seelische Bereiche, deren rational nicht erklärbarem System der Mensch ausgesetzt ist. Der Zweifel an der sichtbaren Wirklichkeit liefert den Menschen einer Ungewissheit aus, die unerwartete Kräfte jener Bereiche entbindet, die der herkömmlichen Erfahrung verschlossen bleiben. Diese Einsicht führt darüber hinaus zum Zweifel an einer verpflichtenden Weltordnung und öffnet den Weg zu neuen Erlebnisbereichen und tieferen Schichten, die unter der Hand des Künstlers zur Leidenserfahrung werden.

Diese andere Welt trägt demoralisierte Züge, in ihr herrschten Bosheit, Gemeinheit und dämonische Kräfte; aber sie kann auch tragikkomische Züge annehmen. Immer jedoch deckt sie von der Norm abweichende Schichten auf und führt direkt in die Mitte einer seelischen Disposition. Wir, die Betrachter, sind aufgefordert, uns mit der bestürzenden Mahnung auseinander zu setzen. Dabei macht Helnwein bewusst, wie leicht wir vergessen, dass die Spannung aus der wir leben aus Polen besteht, die nicht nur die positiven Seiten des Lebens beinhalten.

Nichts gegen die, die in der Kunst eine Ästhetik suchen, aber alles gegen die, die andere verleiten, nur das Licht zu sehen. Die Erschütterungen einer strauchelnden Seele erscheinen selten an der Oberfläche, sind aber dennoch nicht zu kaschieren. Machen wir uns doch bewusst, dass die Voraussetzungen für eine Odyssee meistens im seelischen Bereich der Individuums liegen. Diese Seite des Lebens fordert geradezu die Transformierung in das subjektiv geformte, ja verformte Menschenbild, beabsichtigt sogar die Überzeichnung und die Gewalttätigkeit der Aussage.

<> (Helnwein). In der Kunst Helnweins ist der Mensch in einigen Fällen Opfer und Henker zugleich; oft steht er auch unter dem Zwang apokalyptischer Bedrohung. Der Einzelmensch indes verursacht nie ein Unglück, immer ist es das Kollektiv, das auf ihn wirkt und ihn betroffen oder leidend macht. Das Individuum ist hineingestellt in die Welt und ihren Kräften rückhaltlos ausgeliefert. Der Augenblick der höchsten Not diese Ausgesetztsein hält der Künstler als desillusionierende Zustandsschilderung in seinem Bild fest, um uns darauf aufmerksam zu machen, dass der Mensch durch seine eigene Dämonie in die Sackgasse höchster Gefahr geraten ist, dass er aber die Gefahr aus eigenem Impuls kaum bezwingen kann und somit weiter seine Bürde tragen muss.

Es ist jener Teufelskreis, den die heutige Gesellschaft herauf beschworen hat. Ohne ein Weltverbesserer sein zu wollen, bezieht Helnwein Stellung; und so kann er auch ganz unapodiktisch Fragen nach dem Existentiellen stellen sowie nach psychischen Grenzsituationen, ohne gleich Antworten anbieten zu müssen. Gerade um die Wirklichkeit des Unwirklichen aufzuzeigen, und sich sichtbar und unverschlüsselt in eine andere realitätsebene vorzustoßen, benutzt der Künstler eine subtile Technik: einen konstatierenden, gewissermaßen intransitiven Realismus, der inhaltlich auch das Triviale und die Komik des Schreckens mit einschließt.

Somit ist Helnwein kein Erfinder neuer Stile, sondern eher ein Entdecker mit Erkenntnissen, Bereits in den frühen Federzeichnungen von 1972 wird von der Bedeutung her unser Verdrängungsmechanismus wachgerüttelt, und wir werden aufgefordert, die eigene Ich- Erfahrung zu überdenken. Schon der erste Eindruck dieser Blätter (>>Ich und du<<, >>Buben<<, u.a.) verstört unsere Seherfahrung: die Vorrangigkeit des Motivs, die bemüht gestellte Darstellung anstelle der Komposition. Da stehen Menschen in scharfer Kontur vor dem weißen Papierfond, deformiert durch die überlange Nase oder den zwergenhaften Wuchs mit ihren zum Teil weichknochigen Fingern. Die clownesken Übertreibungsmerkmale, die normalerweise zum Lachen anregen, bekommen in den Zeichnungen einen tragischen Zug. Das persönliche ist durch die partielle Deformation entwürdigt und wird an den Pranger gestellt. Die Menschen leiden fatalistisch, schauen aber dennoch betroffen, da sie ahnen, dass mit ihnen etwas nicht stimmt, ohne jedoch zu wissen, was und warum. Die monströse Entstellung macht sie zu Opfern, die einem unbegreifbaren Schicksal ausgeliefert sind.

Das reine Weiß des Blattgrundes, das als Bildfaktor mitwirkt, steigert die Intensität der hart abgrenzenden Federstiche, die Figuren scherenschnittartig herausstellen. Die entleerte Bildfläche wird gleichsam zur Metapher des Ausgesetztseins. Weitgehend unterstützt wird die formale Verfremdung durch die darstellende Form der Linie, die zwar den Bewegungsablauf, Licht, und Schatten bezeichnet, nicht aber die in der Tiefe führende Körperlichkeit und die dreidimensionale Durcharbeitung. Sie bleibt eher an der Oberfläche gebunden, bildet weitgehend willkürlich gesetzte Parallelschraffuren, in der Verdichtung Grauwerte und Schwärzen mit abrupten Übergängen, ohne auf die Körpermodulation einzugehen. Die starke Inkongruenz von Körpervolumen und Form lässt sich am Schriftzug der Feder gut verfolgen, der sich der genauen Markierung des Stofflichen entzieht und immer als Einzelduktus wahrnehmbar bleibt. Da Helnwein nicht stilisieren wollte, genügte im diese Form als bloße Bezeichnung des Gegenständlichem.

Mehr auf den Zusammenhang von Form und Inhalt abgestimmt und nicht so stark konturbezogen, sind die Zeichnungen der zweiten Hälfte der 70er Jahre. Figur und Raum werden von einem flächendeckenden Netzt überzogen, wobei jedoch immer das unmittelbar Handschriftliche sichtbar bleibt. Dichte gekritzelte Striche bilden eine Flächenstruktur aus hochdifferenziertem Überlagerungen und Durchdringungen und werden dadurch zu einer Art Radierstrich, hauchzart, samtig, weich, aber auch hart, gebündelt, rissig und spröde. Die dünnen Linien ergeben ein Gespinst von ungeheuer Bewegung und interpretieren in festen oder transparent durchsichtigen Flächen den Raum als einen Stimmungsraum mit dramatischen Lichteffekten, die in einen tonigen, seidigen Glanz übergehen können. Oft kommt es vor (>>Du hast einen großen Mund<<), dass die Federstriche über den Gegenstand hinweg gehen und nicht fixieren.

Zum Beispiel ist bei dem genannten Bild der Übergang von Figur und Körperschatten, der ohne Abgrenzung in den Hintergrund gleitet, so fließend, dass man an das Vorstellungsvermögen des Betrachters appellieren muss, da sich die Zeichnung dem eindeutigen Verifizieren des Gegenständlichen entzieht. Figur und Raum bzw. Hintergrund bilden keine kontrastierenden Pole. Besonders in der offenen Form der Stichlagen wird die Abneigung gegen die Kontur nicht nur bei der Personendarstellung innerhalb des Bildes deutlich, sondern auch zur abgrenzenden Umrandung, die sich in unsystematischer Kreuzschraffur in einem offenen Liniengehfaser auflöst. Gerade dieser freie, mit Verve vorgetragene Duktus von geraden und kurvigen Linien, die auch dem dickeren Ansatz der Feder erkennen lassen, bewart dem Motiv gegenüber eine gewisse Unabhängigkeit.

Die zeichnerische Formensprache begleitet eine dramatische Lichtregie mit bedrohlichen Vibrationen von Hell und Dunkel. Ihr übergangsloses Liniengeflimmer lässt keine Form isoliert erscheinen. Als lichttragendes Element verbindet sich das Linieament mit Halbschatten, die mitunter in tiefe Schatten übergehen. Wird ein unfassbares, unkörperliches Licht gewählt, dann scheint es im Raum zu schweben. Licht wird beim Helnwein sozusagen zur Aktionssphäre der Linien, die als einzelne keine Bedeutung haben, aber in ihrer vielfältigen und ambivalenten Beziehung untereinander in der Lage sind, eine Fülle von diffus facettierten Valeurs hervor zubringen, aus denen verschiedene Wahrnehmungsqualitäten resultieren. Das grelle Licht kann z.B. dazu beitragen, einerseits Formen zu zerhacken(Das Gesicht auf "Du hast einen großen Mund"), anderseits bildet es zusammen mit tiefen Schatten ein Formgebilde, in dem sich beide Elemente korrespondierend ergänzen. Erst die Verflechtung von Licht und Schatten ermöglicht es, alle Bildteile miteinander in Beziehung zu setzen und das Blatt als einen einheitlichen Bildorganismus zu sehen.

Von der inhaltlichen Seite her erzeugen die Lichterscheinungen eine magisch- beklemmend Wirkung, haben also einen Stimmungswert. Es wäre verfehlt hier von Beleuchtung im Bild zu sprechen, denn Beleuchtung gibt etwas Zuständliches wieder. Bei Helnwein ist das Licht etwas Gebendes, geht von einer Quelle aus, ist deswegen aktiv. Die Gegenstände werden nicht von einer Lichtquelle außerhalb modelliert, sondern das Licht im Bild selbst modelliert die Dinge. Gerade darin liegt die Kraft, die die Bildwirklichkeit ins Visionäre steigert und die imstande ist, den Zwischenbereich von Traum und Wirklichkeit überzeugend darzustellen.

Immer wieder ist es der Raum, der in der Gitterstruktur des Federstrichs in körperlichem Licht erscheint und dessen begrenzende Materialität in Frage gestellt wird. In seiner transparenten, sinnlich schwerer wahrnehmbaren Stofflichkeit erscheint er wie ein bildbeherrschendes Ereignis und Spannungsfeld von bedrückender Macht.

In den 80er Jahren strafft Helnwein die Lichtenergie. Ihre Kraft wird zur Gewalt. Explosionsartig durchwaltet das Licht den Raum und wird zum Agens gegen den Menschen ("Vertreibung aus dem Paradies"). Im "Judaskuss" wird es personenhaft: leuchtend, erleuchtend, lebend, mitfühlend und zerstörend zugleich. Man betrachte das Ereignis aus der Nähe! Das Höchstmaß an Spannung im Kopf des Kindes und blendende, strahlende Helligkeit, die nach allen Seiten austreibt, bringt selbst den umgebenden Raum, der wie ein Halo die Figuren umgibt, zum Erzittern. Das Urbild des Judaskusses macht Helnwein zu einem Zerrbild, das zugleich als Deutungszeichen gesehen werden sollte, das zur Besinnung, zur Reflektion auffordert. Der Denkvorgang selbst wiederum schafft trotz der drastischen Darbietung Distanz zum Bild, die auch im Vollzug des Zeichners angedeutet ist. Einerseits markieren die Federstriche die konkrete Form des Gegenstandes, anderseits entzieht sich das Motiv der realistischen Sehweise durch den bewussten Sinneseinbruch des einzelnen Federstrichs in den Schraffuren, deren Struktur Körper und Raum zu einem dichten Gitternetz miteinander verweben. Die Doppelbödigkeit des Inhalts ist charakterisierend durch dieses ambivalente Zeichenverfahren, bei dem wir Beides zu gleichen teilen wahrnehmen, die Darstellung selbst und die Handschrift des Zeichnenden.

Ebenso wie in der Federzeichnung wählt Helnwein bei den Aquarellen und Kreidebildern den unmittelbar vor dem Auge auftauchenden Einzelvorgang, der in schriller, atonaler Disharmonie zur Wirklichkeit steht und deswegen so betroffen macht.

In diesen Medien ist der Ausgangspunkt nicht die Wirklichkeit, sondern das photographische Vorbild, das soweit verädert wird, bis es einen subjektiven Wahrnehmungsprozess veranschaulicht. Dabei holt der überscharfe Verismus, der fast bis zur Augentäuschung getrieben wird, die Hintergründigkeit der täglich gelebten Wirklichkeit hervor. Die penible gemalte Oberfläche, die von einer hohem handwerklichen Fähigkeit des Künstlers zeugt, fördert eine überrealistische Gegenständlichkeit zu Tage, die dem Surrealismus nahe steht. Keineswegs jedoch erfolgt der Zugang zu den Bildern so unmittelbar wie die realistische Determinierung es vortäuscht, liegen doch die Erklärungen in erster Linie in einer uns zunächst unzugänglichen schichten der Seinswelt, deren Bilder jenseits aller Erfahrung in den tiefen unseres Bewusstseins ruhen und erst aufgedeckt werden müssen, um wahrgenommen zu werden.

Helnwein benutzt geradezu die Wirksamkeit eines realistischen Abbildes, um die Realität mit visuellen Mitteln zu überschreiten. Die irritierende Verschiebung der gewohnten Wirklichkeitsebenen hebt die Bildwelt vom Natürlichen und Vernünftigem ab und macht sie zur Vision. Hier äußert sich die "enigmatische Chiffrensprache der Natur" (Novalis) in einer großen visuellen Imagination. Insofern sind die Arbeiten Helnweins trotz ihres realistischen Bezuges keineswegs mit jenem Realismus zu verwechseln, der die Welt mit einer vertrauten, vordergründigen Wirklichkeit überdeckt und nicht in tiefere Schichten vordringt. Durch die Vereinigung der unter- und hintergründigen Wirklichkeit mittels veristischer Elemente könnte man von einer "synthetischen" Bildrealität sprechen. Die absolute Präsens jedes Details, das in voller Schärfe sichtbar wird und jede Pore offen legt, entfremdet und entrückt das Bild insofern, als die nichtsverdeckende Malerei jede Bewegung der Figur wie erstarrt erscheinen lässt, Helnwein fügt sofern den optischen Eindruck in die Technik der Form ein. Andererseits suggeriert mit magischer Obsessionskraft die Gegenwärtigkeit jeder Einzelheit eine intensive Bildwirklichkeit, die natürlich vom Künstler gewollt ist. Der Augenblick wird sozusagen in die zeitlose Gegenwart des Bildes eingefroren.

Auch in der farbigen Auffassung wird die realistische Beobachtungsschärfe so übertreiben, dass die Oberfläche durch die Feinmalerei alle malerische Wärme einbüßt. An keiner Stelle wirkt sie ästhetisierend, noch ist sie von sinnlicher Schönheit. Farbe wird vielmehr in den Dienst der desillusionierenden Bildwirklichkeit gestellt, ist hart, metallisch, ungefährlich, neutralisierend, obgleich übertreibend, mitunter kann sie sogar sakral sein und giftige Energie versprühen. Der perfekten optischen Form als Darstellungsmittel der psychischen Befindlichkeit steht wegen der Übertreibung die Deformation schon ins Gesicht geschrieben. Die qualvolle Zerstörung des klassischen Menschenbildes wird quasi zum Gleichnis einer zerbrechlichen Existenz, dass der Künstler in neu gefundenen Zeichen darlegt.

Immer wieder ist es das Überraschungsmoment, das die Szenen der Alltäglichkeit entfremdet und die qualvollen Dimensionen des innern bloß legt, die erfüllt sind von dämonischen Kräften. Eine diabolische Kluft zwischen der harmonischen Scheinwelt und der Wirklichkeit öffnet sich im "Sonntagskind", das, obgleich blind, freundlich lächelnd und schokoladebeschmiert neben der mit Reklameschildern beklebten Ladentür steht. Mit dem Anschein äußerer Glaubwürdigkeit wird dem Betrachter der paradoxe Moment in konkreter Malerei vorgeführt. Nachhaltiger noch berührt uns das unerwartete Zusammentreffen von Lieblichkeit und Brutalität in dem Bild "Peinlich". Ein Gefühl des Unbehagens löst die Szenerie aus die mit absoluter Klarheit die verborgene Realität der Hässlichkeit aufdeckt. Die Topographie des Gesichtes wird zum Schlachtfeld zum Spiegel gesellschaftlicher Presssuren.

Die reaktionsmäßige Abweichung von der Norm ist das Thema in >> Erdbeben<<. Die verzerrende Hässlichkeit des Kauzigen tritt in überscharfer Lichtgebung ohne jede atmosphärische Milderung objektiv und hart zutage. In greller Aufdringlichkeit und schriller Disharmonie des Farbvortrags kehrt ein Individuum sein Wesen nach außen. Die konventionellen Verhaltensmuster sind durchbrochen und travestiert in ein Verhalten, das jenseits aller poetischen Überhöhung liegt. Zu den Porträts von verwirrend brutaler Ausstrahlungskraft gehört das <> mit bandagierten Kopf und Gabeln in den Augen. In der Pose, die zum Verzweiflungsschrei gerinnt, demonstriert Helnwein an seiner eigenen Person die drohende Gefahr der Vernichtung. Er nimmt im Erdulden von Gewalt Züge von physischer und psychischer Gewalt an und verkörpert selbst ein Bild zeitlosen Erleidens. Als Henker und Opfer zugleich, stellt Helnwein an den Pranger und begehrt auf. Durch die <> gerät das Porträt, wenn man es so bezeichnen will, an die Grenze der Identität, das Bild wird Ausdruck eines gespannten Augenblicks menschlicher Existenz.

Bei Helnwein ist es Methode, dass er sich in der Gattung des Bildnisses ausschließt mit populären Personen beschäftigt, die im Rampenlicht der Medien stehen oder standen. Als Idolfiguren unserer Gesellschaft entsprechen sie unserem Erwartungsmuster genormten Verhaltens. Da die zwanghaft nahe Distanz und der kalte Sinnlichkeit ausstrahlende Realismus, der nichts an optischer Klarheit verbirgt, die einzigen Merkmale sind, die ihre Identität bestätigen, werden sie als Helden unserer Zeit auch wieder in Frage gestellt. Wieder die Ambivalenz zwischen einem Individualporträt und der optisch seelenlosen Hülle eines Gesichtes, an dem alles Oberfläche ist. Interessant in diesem Zusammenhang auch die Uneindeutigkeit der Malweise im James- Dean- Bild, wo am Beispiel der Pfütze, die der Filmheld überschreitet, gezeigt wird, unter welchen optischen Bedingungen und Veränderungen sich etwas als gegenständlich bzw. >>wirklich<< erweist.

Es gibt andere Menschendarstellungen, auf denen jedes individuelle Merkmal annulliert ist (>>Heinrich und Thomas Mann<<, >>Oppenheimer<<, u.a.) und die Physiognomie zur hellen Lichterscheinung wird. Das Stilmittel der formalen Reduktion löscht die Identität zur substanzlosen Unschärfe auf, um nun das Kreatürliche des menschlichen Verhaltens aufzuzeichnen (>>Goldstreuer<<, >>Verliebter General<<).

Die Hinwendung zu den Objekten, die in einem drastischen und scharf registrierenden Verismus festgehalten sind, bedeutet nicht Liebe zur Natur, sondern Auseinandersetzung mit der heutigen Welt in einer ganz neuen Sehweise. Gerade die penetrant sachliche Darstellung ermöglicht den Zugang des Betrachters zu dieser Bilderwelt, die nicht durch Symbole oder Zeichen verstellt ist.

Wenn wir von Helnwein sagen, er habe von innen nach außen gemalt, dann heißt das, dass seine minutiöse und bohrend- insistierende Arbeitsweise, die die geschaute Wirklichkeit brutal interpretiert, eine hinter den Dingen im verborgenen liegende Welt aufzudecken versucht.

Gottfried Helnwein, one man show, Folkwang Museum Essen, Germany
02.Jan.1989 Katalog, Folkwang Museum Essen Hubertus Froning